„Vorgezogenes Weihnachtsgeschenk des Landrats?“
STELLUNGNAHME VON ULRICH LENK ZUM
KREIS-HAUSHALTSPLAN 2020
Unsere Fraktion stellt sich die Frage, ob der Landrat den Städten und Gemeinden im Kreis mit dem Haushaltsplanentwurf für 2020 ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk machen wollte. Denn auch nach Ansicht unserer Fraktion haben Sie, sehr geehrter Herr Landrat, einen durchaus „kommunalfreundlichen Haushalt“ eingebracht, der mit einem Kreisumlage-Hebesatz von 32,3 %-Punkten um 1,7 Punkte niedriger als im letzten Jahr und damit so niedrig wie zuletzt vor 23 Jahren im Jahr 1996 ist.
Besonders fällt ins Auge, dass das aus der steigenden Steuerkraft resultierende Mehraufkommen in diesem Jahr im Verhältnis 13 % (Kreis) zu 87 % (Kommunen) aufgeteilt werden soll. Dies ist ein neuerlicher Beweis für die Absurdität der von den Bürgermeistern so hochgepriesenen „Fifty-fifty-Regel“, die jetzt endgültig begraben werden sollte, muss doch dieses Mehraufkommen jedes Jahr aufs Neue im Lichte der Eingaben und Ausgaben des Kreises aufgeteilt werden, wobei es eben dann von Jahr zu Jahr völlig unterschiedliche Gewichtungen geben kann. Dass man den eingebrachten Haushaltsentwurf aber auch anders beurteilen kann, zeigt der jüngste Brief der Bürgermeister und Oberbürgermeister. Sie sind der Meinung, dass der Landkreis einen Haushalt „zu Lasten“ der Kreiskommunen vorgelegt hat und viel besser dastehe als alle Städte und Gemeinden. So könne der Kreis im Gegensatz zu den Kommunen ohne Probleme seine Abschreibungen voll erwirtschaften und habe die Ergebnisverbesserungen der vergangenen Jahre im Umfang von über 66 Mio. € vollumfänglich für sich behalten.
Diese Einwendungen nehmen wir durchaus ernst, wissen doch zumindest die Gemeinderäte unter uns, welch riesige Belastungen in den kommenden Jahren auf unsere Städte und Gemeinden bei vermutlich sinkenden Steuereinnahmen zukommen werden.
Andererseits verkennt unsere FDP/FW-Fraktion aber auch nicht die dunklen Wolken am Horizont der Kreisfinanzen – 5 Punkte :
Im Haushaltsjahr 2020 decken erstmals die Einnahmen aus der Kreisumlage nicht mehr den Nettosozialaufwand des Kreises.
Zum Zweiten werden mit der Umsetzung des Gesamtimmobilienkonzepts in Waiblingen und den anstehenden Investitionen in die Kliniken in Winnenden und Schorndorf neue große Belastungen auf den Kreishaushalt zukommen.
Drittens nähern wir uns bereits gegen Ende des Finanzplanungszeitraums Ende 2023 trotz Auflösung der vorhandenen Rücklagen beim Schuldenstand der bedrohlich-magischen Grenze von 100 Mio. €.
Mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung drohen ( 4.) zeitnah weitere Belastungen für den Kreis.
Und wenn dann ( 5.) noch die Steuerkraft der Kommunen um z.B. 10 % zurückgehen sollte, was bei einem Konjunktureinbruch nicht gänzlich auszuschließen ist, hätte das zur Folge, dass dem Kreis (bei einem Hebesatz von 32,2 % – Punkten) von heute auf morgen 21,4 Mio. € fehlen würden.
Deshalb möchten wir trotz der nachträglich eingetretenen Verbesserungen die Kreisumlage nicht weiter senken.
Freuen wir uns vielmehr, dass es unserem Landkreis nach durchaus mageren Jahren zu Beginn des Jahrzehnts wieder besser geht, er seine Schulden im Kernhaushalt am Ende diesen Jahres auf rund 30 Mio. € senken konnte und er sogar noch Reserven für schlechtere Zeiten aufbauen konnte. Freuen wir uns, dass sich damit wieder politische Gestaltungs- und Investitionsmöglichkeiten aufgetan haben, von denen neben den Bürgerinnen und Bürgern auch die Kommunen im Kreis profitieren.
Anders verhält es sich bei der neuen vom Kreiskämmerer vorgeschlagenen Finanzierungsleitlinie des Landkreises. Hier können wir die Kritik der Kommunen durchaus nachvollziehen. Denn zukünftig sollen die Überschüsse nicht mehr zur Tilgung bereits bestehender Kreisschulden, sondern „bis zur Höhe der geplanten Kreditaufnahme“, also zur Vermeidung neuer Kreisschulden verwendet werden. Erst wenn dann noch etwas übrig bleibt, was angesichts der bevorstehenden Großprojekte eher unwahrscheinlich ist, sollen 50 % davon zur Senkung der Kreisumlage verwendet werden. Dieser Vorschlag ist in der Tat nicht ausgewogen, weshalb wir eine Überprüfung und „Nachbesserung zu Gunsten der Kommunen“ beantragen.
Lassen Sie mich jetzt im 2. Teil meiner Rede auf einige Punkte im Haushalt und unserer FDP/FW-Fraktion wichtige Themen eingehen:
Konnexitätsprinzip oder „Wer in Berlin oder Stuttgart Wohltaten beschließt, muss auch das Geld dafür bereitstellen“
An mehreren Stellen im Haushalt wird deutlich, dass gegen dieses Prinzip, das eigentlich für den Bund und das Land selbstverständlich sein müsste, immer noch häufig und munter verstoßen wird. Die Zahlungsrückstände des Landes bei der Flüchtlingsunterbringung und die zögerliche Bereitschaft des Bundes, zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes auch die notwendigen Mittel bereitzustellen, sind beste Beispiele.
Auch mit der Umsetzung der bürokratischen Pflegepersonaluntergrenzen-VO drohen uns zeitnah weitere Belastungen, die unsere Klinikleitung mit jährlich auf 2,9 bis 3,8 Mio. € beziffert. Diese werden auf das Betriebsergebnis und das vom Kreis zu tragende Klinikdefizit durchschlagen, ohne dass bislang ein finanzieller Ausgleich von Seiten des Landes angedacht ist.
Und neues Ungemach droht, wenn zukünftig anstelle der Angehörigen verstärkt die Kommunen den Teil der Kosten für eine Heimunterbringung bezahlen müssen, die die Pflegebedürftigen selbst nicht aufbringen können.
Um diese Unsitte endlich zu beenden, sollten sich die Kommunen und Landkreise und ihre Spitzenverbände (Städtetag und Landkreistag) gemeinsam im Schulterschluss gegen das Land und den Bund positionieren und nicht länger einen Teil ihrer Energie dafür verwenden, sich gegenseitig die Butter auf dem Brot streitig zu machen. Bedenken wir doch endlich, dass Gemeinden, Städte und Landkreise in ein und demselben Boot sitzen und dieses Boot deshalb gemeinsam seetauglich halten müssen.
Bereich Soziales und Jugend
Es erfüllt uns mit Sorge, dass der Kostenblock für den Bereich Soziales & Jugend unter Einrechnung des dort eingesetzten Personals mit erwarteten 339 Mio. € weiter ansteigt und jetzt 67 % der gesamten Aufwendungen des Kreises ausmacht. Besonders der um 3,5 Mio. € weiter steigende Zuschussbedarf für Jugendhilfeleistungen ist offensichtlich ein Spiegelbild familiärer Probleme und eines gesellschaftlichen Werteverfalls, deren Opfer häufig Kinder und Jugendliche sind.
Notwendige Investitionen können vorgenommen werden
Unsere Fraktion begrüßt es, dass dringend notwendige Investitionen im Umfang von insgesamt 26,3 Mio. € u.a. in unseren Schulen, für Kreisstraßen und Radwege, für den Sozialen Wohnungsbau und für den 1. Schritt zur Umsetzung unseres Gesamtimmobilienkonzepts vorgenommen werden können. Beim Letzteren bitten wir die Zusage einzuhalten, dass die zeitliche Umsetzung notfalls gestreckt werden kann und die bislang für die Sanierung der Pagode angesetzten Kosten nochmals kritisch unter die Lupe genommen werden.
Unsere Kliniken sind auf einem guten Weg
Die gute medizinische Leistung wird durch steigende Patientenzahlen honoriert und auch das laufende Betriebsdefizit konnte in den vergangenen Jahren deutlich gesenkt werden, so dass die von unserem Landrat ausgegebene Zielmarke von 8 -10 Mio. € Defizit pro Jahr erreichbar scheint. Was die bevorstehenden Erweiterungen in Winnenden und Sanierungen in Schorndorf betrifft, bitten wir darum, die Zuschussanträge beim Land rechtzeitig zu stellen und erst nach der Förderzusage mit dem Bau zu beginnen.
Der Ausbau des ÖPNV ist uns lieb und teuer
Machen wir uns nichts vor. Wir brauchen einen weiteren Ausbau unseres ÖPNV. Dazu gehören funktionierende und fahrplanmäßig mit der Bahn abgestimmte Busverkehre, die wir im Kreis zunehmend schaffen. Auch die VVS-Tarifreform war ein wichtiger und richtiger Schritt, den wir uns im Kreis immerhin jährlich zwischen 4 und 5 Mio. € kosten lassen. Dass wir es ernst meinen sieht man daran, dass die ÖPNV-Ausgaben des Kreises von 21,2 Mio. € im Jahr 2018 auf 28,5 Mio. € in 2020 um rund ein Drittel ansteigen. Deshalb kann es nicht sein, dass die Landkreise auch noch die von Verkehrsminister Hermann gewünschte Nullrunde der VVS-Tarife 2020 mitfinanzieren. Wer das will, muss auch die Mittel dafür aufbringen – und zwar dauerhaft.
Investieren wir lieber in die Qualität, Zuverlässigkeit und den weiteren Ausbau des ÖPNV.
Modellhafte Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes im Rems-Murr-Kreis
Wir freuen uns, dass wir bei der Umsetzung dieses Gesetzes zu den 30 Modellregionen gehören und wir so frühzeitig Erfahrungen sammeln können. Schön ist es, dass wir mit der Diakonie Stetten einen der größten Träger als Projektpartner gewinnen konnten. Gerade unserem Landkreis, der Sitz von namhaften Behinderteneinrichtungen ist, steht es gut an, dass die „volle und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft und die Einbeziehung in die Gesellschaft“ pilothaft versucht wird. Im Hinblick auf den enorm ansteigenden bürokratischen Aufwand kann man nur hoffen, dass diese verbesserte Teilhabe auch tatsächlich bei den Menschen ankommt.
In diesem Zusammenhang beantragen wir dazu einen Erfahrungsbericht nach einem Jahr sowie einen Bericht, wie es um die Umsetzung der Barrierefreiheit in Kreiseinrichtungen bestellt ist.
Klimaschutz und Abbau des Sanierungsrückstaus
Der aktuell auf über 46 Mio. € bezifferte Sanierungsrückstau ist nicht anders zu bewerten als Schulden. Wir beantragen die Mittel auch als Beitrag zum Klimaschutz von geplanten rund 3 auf 4 Mio. € zu erhöhen, wobei wir die zusätzlichen Mittel gerne bei den so dringend notwendigen energetischen Sanierungen wie z.B. bei den Fassaden in unseren Schulzentren eingesetzt sehen wollen, wo wir im wahrsten Sinne des Wortes immer noch in beträchtlichem Umfang zur Fassade hinausheizen.
Weil beim Thema Klimaschutz auch kleine Zeichen sensibilisieren und Anstöße bewirken können, beantragen wir, dass zukünftig sowohl Landkreismitarbeiter als auch Kreisräte bei der Fahrtkostenentschädigung nicht mehr nur mit 2 Cent, sondern mit 25 Cent pro km entschädigt werden, wenn sie mit dem Fahrrad anreisen.
Breitbandausbau und Digitalisierung sind existenziell für eine gute Zukunft
Deshalb müssen wir diesbezüglich unsere Anstrengungen fortsetzen und noch intensivieren. Vor allem bleibt zu hoffen, dass die Telekom der verlässliche Partner ist, für den sie sich ausgibt und bald eine flächendeckende Glasfaserversorgung kommt.
Bei der Digitalisierung müssen wir auch unsere Schulen „auf Vordermann bringen“. In diesem Zusammenhang begrüßen wir es, dass zusammen mit dem Kreismedienzentrum die „Expedition d“ gestartet wurde und der digitale Ausbau unserer Schulen in Richtung „Industrie 4.0“ von Ihnen, sehr geehrter Herr Landrat ganz persönlich forciert wird. Dankbar sind wir der neuen Stiftung „Gesundheit & Bildung“ der Kreissparkasse Waiblingen, dass sie u.a. auch dafür Mittel im Umfang bis zu 700.000.- € bereitstellen will.
Da wir bereits mehrfach das Thema „Gesunder Landkreis“ thematisiert hatten, erwarten wir, dass dieses wichtige Zukunftsthema jetzt auch zeitnah aufgegriffen wird.
Den Schwung der Remstalgartenschau mitnehmen
Vor dem Hintergrund der so erfolgreichen Remstalgartenschau, der Heimattage in Winnenden und dem 40jährigen Jubiläum des Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald beantragen wir die Entwicklung einer Tourismuskonzeption für unseren Kreis. Die Konzeption soll sich am Klimaschutzkonzept des Kreises orientieren und einen Handlungsplan enthalten. Ziel muss es sein, nachhaltigen Tourismus zu fördern, um so auch die wirtschaftlichen Grundlagen der in diesem Bereich aktiven Betriebe zu verbessern.
Ein gutes Miteinander hilft allen
Unsere Fraktion teilt ihre Auffassung, sehr geehrter Herr Landrat, dass in den zurückliegenden Jahren viel Vertrauen zwischen den politischen Akteuren an Rems und Murr gewachsen ist. Das gilt sowohl im Verhältnis zwischen den Kommunen und dem Landkreis, aber auch für die Zuschüttung der durch die Klinikentscheidungen aufgerissenen Gräben zwischen dem Altkreis Backnang und dem restlichen Kreis. Auch im Landratsamt und in den Beteiligungsgesellschaften ist eine Aufbruchstimmung zu spüren, die sich in den Begegnungen mit motivierten Mitarbeitern zeigt, denen wir an dieser Stelle ausdrücklich danken möchten.
Mit Ihrer offenen, transparenten und teamorientierten Art haben Sie, sehr geehrter Herr Landrat Dr. Sigel viel zu diesem Klimawandel der besonderen Art beigetragen. Dafür möchte sich unsere FDP/FW-Fraktion auch heute herzlich bei Ihnen bedanken.
Bewahren wir uns dieses gute Klima (auch in ggf. einmal schwierigeren Zeiten). Wir werden alle davon profitieren; davon bin ich überzeugt.
Abschließend bedanken auch wir uns beim gesamten vom Finanzdezernenten Schäfer angeführten Team mit Frau Kugler, Frau Maier und Frau Scholze für die Aufstellung und Erläuterung des Haushaltsplans.
Uns allen wünsche ich gute und zielführende Haushaltsberatungen.
Ulrich Lenk
18.11.2019, Kreistagssitzung in Kernen